Freie Waldorfschulen

Freie Waldorfschulen
Freie Waldorfschulen,
 
Rudolf-Steiner-Schulen, Schulen in freier Trägerschaft, die als Ersatzschulen (Privatschule) eigener pädagogischer Prägung anerkannt sind und alle Berechtigungen einschließlich der des Hochschulzugangs vermitteln. Die erste Waldorfschule wurde 1919 in Stuttgart von Emil Molt (* 1876, ✝ 1936), Direktor der Waldorf-Astoria Zigarettenfabrik, gegründet; pädagogische Leitung und Aufbau lagen bei R. Steiner. Nach dem Verbot der Waldorfschulen 1938 und dem Neubeginn 1945 fand die pädagogische Idee der Waldorfschule weltweit Nachfolge (in Deutschland rd. 170 Waldorfschulen, weltweit 760). Der von Steiner entwickelte pädagogische Ansatz hat sich auf allen Kontinenten in den unterschiedlichsten kulturellen und sozialen Umfeldern durchgesetzt, so z. B. in den brasilianischen Favelas oder als gemischtrassische Schule während der Apartheid in Südafrika. Die UNESCO würdigte die Waldorfpädagogik als bisher einzige Form alternativer Pädagogik auf ihrer 44. Erziehungskonferenz 1995 in Genf. Seit 1970 erfolgte eine starke Ausweitung der Waldorfkindergärten (in Deutschland rd. 450, weltweit rd. 1 250). 1924 entstand die anthroposophische Heilpädagogik (in Deutschland 125, weltweit 450 Heilpädagogische Institute und 20 Waldorfschulen für Erziehungshilfe). Zusammengeschlossen sind die deutschen Waldorfschulen im Bund der Freien Waldorfschulen e. V. (Sitz: Stuttgart). Eine angeschlossene Pädagogische Forschungsstelle veröffentlicht Fachliteratur. Die Ausbildung zum Erzieher, Heilpädagogen, Waldorflehrer sowie die Fortbildung erfolgen an eigenen Hochschulen und Seminaren. In der Schweiz besteht die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft (Goetheanum); weltweit gibt es rd. 120 Ausbildungsstätten.
 
Steiners anthropologischer Ansatz führte zum Konzept der zwölfklassigen Einheitsschule (Abiturienten besuchen eine dreizehnte Klasse). Schüler beiderlei Geschlechts (Koedukation) werden in Altersjahrgängen ohne Versetzungsordnung in einheitlichen Ausbildungsgängen unterrichtet. Abschlussprüfungen werden vor staatlichen Prüfungskommissionen (zum Teil unter Beteiligung von Waldorflehrern) abgelegt. Das Fächerangebot ist so angelegt, dass sowohl die »Erkenntnisfähigkeiten« (in Mathematik, Naturwissenschaften) als auch die »Erlebniskräfte« (in künstlerischen Fächern wie Musik, Kunstunterricht) angeregt und ausgebildet werden können. Dazu treten »willensschulende« Tätigkeiten in künstlerisch-praktischen Fächern (Handwerk, Gartenbau, Malen, Eurythmie, Instrumentalunterricht, Technologie u. a.) und Praktika. Die Waldorfschulen kennen Fremdsprachenunterricht von der ersten Klasse an, sie verfolgen das Prinzip des Epochenunterrichts. Ein enges Zusammenwirken von Eltern und Lehrern wird angestrebt. - Nach Steiner vollzieht sich die Entwicklung des Kindes in drei Jahrsiebten: im ersten Jahrsiebt (bis siebtem Lebensjahr) wird die Entwicklung von der Imitation bestimmt, im zweiten Jahrsiebt (7. bis 12./14. Lebensjahr) von der Ausprägung der Sprache und der bildhaften Vorstellung, im dritten Jahrsiebt (etwa vom 15. Lebensjahr an) von der verstandesmäßigen Verarbeitung der Eindrücke. Die Berücksichtigung der individuellen Unterschiede und Entwicklungsstufen der Schüler erfolgt v. a. durch die starke Binnendifferenzierung des Unterrichts. Einzelne Waldorfschulen integrieren berufliche und allgemeine Bildung. Besonders bekannt wurden die Doppelqualifikationen (Berufsabschlüsse und Abitur) der Hiberniaschule. Die pädagogische Methode wurde von Steiner aus der von ihm begründeten Anthroposophie entwickelt. Eine weltanschauliche Beeinflussung der Schüler in irgendeiner Weise ist jedoch, wie Steiner betonte, prinzipiell unvereinbar mit dem Konzept der Waldorfpädagogik. - Von Kritikern der Waldorfpädagogik wird befürchtet, dass diese den Übergang und die Eingliederung der Schüler nach dem Schulabschluss in staatliche Ausbildungsgänge und in die reale Lebenspraxis erschwert.
 
 
Pro u. contra Waldorfpädagogik. Akadem. Pädagogik in der Auseinandersetzung mit der Rudolf-Steiner-Pädagogik, hg. v. O. Hansmann (1987);
 
Erziehungswiss. u. Waldorfpädagogik. Der Beginn eines notwendigen Dialogs, hg. v. F. Bohnsack u. a. (21994);
 
Montessori-, Freinet-, Waldorfpädagogik, hg. v. A. Hellmich u. P. Teigeler (31995);
 
Die Pädagogik der Waldorfschule u. ihre Grundlagen, hg. v. S. Leber (41996);
 
Waldorfschule heute. Einf. in die Lebensformen einer Pädagogik, hg. v. S. Leber (21996);
 
Anthroposophie u. Waldorfpädagogik in den Kulturen der Welt, hg. v. S. Leber (1997);
 J. Kiersch: Die Waldorfpädagogik. Eine Einf. in die Pädagogik Rudolf Steiners (Neuausg. 1997);
 C. Lindenberg: W. (232.-234. Tsd. 1997).

Universal-Lexikon. 2012.

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